Von der Ära Rheingauhalle zur Schulturnhalle

von Markus Wahl

Nach dem Abriss der alten Stadthalle im Jahr 1962 musste der Eltviller Carneval Verein sich nach einem Provisorium umschauen, in der Kampagne 1963 fand sogar keine Sitzung statt. Ein Jahr später wurde dann für die Veranstaltungen der Saal im Hotel Frankenbach als Ausweichquartier für den Maskenball und zwei Sitzungen genutzt.

Im Jahr 1965 konnten wir dann die frisch eröffnete Rheingauhalle als neue Narrhalla einweihen, im Rahmen der 1. Sitzung fand eine „offizielle Schlüsselübergabe“ statt.

Heinz Flöck übernahm 1967 neben dem Amt des Sitzungspräsidenten auch den Vorsitz des Vereins. Unter seiner Leitung wurden die Veranstaltungen des ECV zu Highlights im Rheingauer Fastnachtskalender. Zur Blütezeit dieser „Rheingauhallen-Ära“ veranstaltete der Eltviller Carneval Verein neben drei ausverkauften Sitzungen einen großen Preismaskenball am Fastnachtssamstag mit Prämierung von Gruppen- und Einzelmasken. Auch für die Jugend wurde die gemeinsam mit der Tanzschule Haselier ausgerichtete „Haschi-Disco“ zu einem beliebten Abschluss der tollen Tage am Fastnachtsdienstag.

Darüber hinaus ist unsere Mitwirkung beim Senioren-Kreppelkaffee der Stadt Eltville – der 1970 zum ersten mal ausgerichtet wurde – schon zur Selbstverständlichkeit geworden und sorgt von Jahr zu Jahr für große Freude.

Heinz Flöck beim Seniorennachmittag 1972
Heinz Flöck beim Seniorennachmittag 1972

Im Jahre 1991 stand für Heinz Flöck ein besonderes Jubiläum an, denn er konnte auf 40 Jahre Präsidentschaft beim ECV zurückblicken. Leider machte der Erste Irakkrieg den Karnevalisten in Deutschland einen Strich durch die Rechnung, die Kampagne wurde abgesagt. Die Eltviller Fassenachter trafen sich am Fastnachtsdienstag ohne Musik im Ratskeller, die Feierlichkeiten zum Präsidentenjubiläum wurden einfach in den März verlegt. Auch für die bereits geschriebenen Büttenreden und einstudierten Tänze fand sich eine Lösung, denn die folgende Jubiläumskampagne 4×11 Jahre konnte somit im November 1991 standesgemäß mit einer kleinen Sitzung eröffnet werden. Diese Kampagne sollte aber auch die letzte mit Heinz Flöck als Sitzungspräsident sein, 1993 übernahm dann Prof. Dr. Leo Gros die Leitung der ECV-Sitzungen und prägte diese für insgesamt 12 Jahre. Flöck wurde zum Ehrenpräsidenten ernannt, hatte aber noch bis 1998 den 1. Vorsitz inne, zu seinem Nachfolger wurde Jochen Hulbert gewählt, der dieses Amt bis 2016 bekleidete.

Die 90er Jahre stellten allerdings auch eine schwierige Zeit für den Verein dar. Stetig zurückgehendes Zuschauerinteresse führte zunächst zur Reduzierung von drei auf zwei Sitzungen in der Kampagne und schließlich zur Einstellung des traditionellen Maskenballs. Sicherlich war dies einem allgemeinen Trend im Rheingau geschuldet, doch auch die nicht mehr optimale Situation der Rheingauhalle spielte hier eine große Rolle, insbesondere reduzierte sich das Engagement der Stadt Eltville für die Halle merklich. Mit dem Wegfall einer Hausmeisterstelle fiel der Betrieb der Haustechnik an die jeweiligen Pächter bzw. an uns als Nutzer der Halle, Neuinvestitionen blieben aus und so stieg schließlich im Jahre 2004 die letzte Kampagne des ECV in der Rheingauhalle, nachdem eine Schließung aus Brandschutzgründen unausweichlich wurde. Wieder einmal stand der Eltviller Carneval Verein ohne Narrhalla da.

Auch dank der Unterstützung des Rheingau-Taunus-Kreises konnte noch innerhalb des Jahres 2004 mit der Turnhalle der Freiherr-vom-Stein-Schule eine Alternative gefunden werden. Den Aktiven war klar, dass hier jedes Jahr ein hohes Maß an zusätzlicher Eigeninitiative notwendig werden würde, um aus der Turnhalle eine Narrhalla zu machen. Doch diese Herausforderung wurde mit viel Motivation angenommen. Zeitgleich mit dem Umzug aus der Rheingauhalle in die neue Halle erfolgte im Jahr 2005 die Übergabe von Amtskette und Zepter von Leo Gros an den aktuellen Sitzungspräsidenten Matthias Bleul – er ist seit 2016 auch 1. Vorsitzender. Damit ist der Verein in seiner 66jährigen Geschichte äußerst sparsam mit Sitzungspräsidenten umgegangen, denn insgesamt waren es bis heute nur vier.

Seitdem konnte die Zuschauerzahl wieder stetig gesteigert werden. Mit dem großen ehrenamtlichen Engagement aller Aktiven vor, auf und hinter der Bühne für die Gestaltung des Programms und das Wohlbefinden unserer Gäste geben wir jede Kampagne wieder unser Bestes, damit dies auch so bleibt.

Die Darbietungen, die der ECV seinem Publikum bietet, sind ausnahmslos selbst erarbeitet. Man kann mit Stolz sagen: Alles eigenes Gewächs! Insbesondere die Gruppen – und dort vor allem die Kinder- und Jugendgruppen – bilden die Basis des Programms. Hier gibt es eine bunte Mischung aus Tanz- und Gesangsgruppen, sowie Gruppen die einfach Kokolores bieten.

Doch das Programm des Eltviller Carneval Vereins lebt besonders vom Wandel. Neue Gruppen, neue Konzepte und Nachwuchsbüttenredner sorgen für die entsprechende Abwechslung.

Tanzgruppen

Schon zu Beginn der 60er Jahre gründete sich unter der Leitung von Frau Hilde Barisch die Garde des ECV, die unsere Sitzungen noch bunter und attraktiver gestaltete. Die Garde stand ab 1973 lange unter der Leitung von Klaus Haselier und der Betreuung von Annemarie Mann. Sie verstanden es aus der Garde ein hervorragen-des Ballett zu formen. Auch unter den nachfolgenden Trainern nach dem Tode von Klaus Haselier im Jahr 1992 sind Garde und Showballett bis heute feste Bestandteile unserer Veranstaltungen und repräsentieren den Verein auch mit Auftritten weit über die Grenzen Eltvilles hinaus.

Elf Jahre ab 1980 wurde unser Programm durch die Gruppe Haas bereichert. Sie boten in prachtvollen selbst entworfenen und gefertigten Kostümen eine hervorragende Shownummer. Heute stehen einige ehemalige Mitglieder der Gruppe alljährlich als Animateure auf der Bühne und bringen nun unser Publikum zum Tanzen.

Gruppe Haas 1981
Gruppe Haas 1981

Über 20 Jahre haben die „Sechsfrauen“ mit originellen Auftritten begeistert, 2005 verabschiedeten sie sich von der Bühne.

Bereits 1977 gab es den ersten Versuch, ein Männerballett ins Leben zu rufen, doch erst eine 1992 gegründete Gruppe hatte auch dauerhaft Bestand. Aus dem zunächst vier Mann starken „BleuWeFlö-Ballö“ – als „Debütantinnen“ präsentierten sie im Tütü den Tanz der kleinen Schwäne aus Schwanensee – sind heute die Rieslingsterne geworden, die jedes Jahr das große Finale unserer Sitzung einläuten. Seit 2009 ist der ECV in der glücklichen Lage, sogar ein zweites Männerballett im Programm zu haben. Die Schneggscher präsentieren Ihre Nummern mit einem zusätzlichen Schuß Akrobatik. Beide Balletts repräsentieren den Verein regelmäßig auf dem traditionellen Rheingauer Männerballettfestival.

Auch Solisten zeigten Ihr tänzerisches Können auf unserer Bühne. Schon in den frühen Jahren des Vereins gab es mit Claudia Roddewig ein Ballettmädchen und in der jüngeren Vergangenheit trat Nadine Sutschet als Tanzmariechen auf.

Sangeskunst

Eine eigene Gesangsgruppe, bestehend aus Sängern des Gesangvereins Liederkranz, trat bereits im Gründungsjahr als Straßensänger des ECV auf und formierte sich schließlich ab 1950 unter dem Namen Eltviller Hofsänger. Im Jahr 1971 stießen weitere Sänger der Concordia ebenfalls zum Chor, der sich ein Jahr später auf Grund der Namensgleichheit zu den Mainzer Hofsängern in Eltviller Kellergeister umbenannte. Bis zur Kampagne 2006 war man unter der Leitung des Dirigenten und Arrangeurs Bernd Hans Gietz ein Höhepunkt der Veranstaltungen des Eltviller Carneval Verein. Zum Erfolg des Chores beigetragen haben mit Waltraud Ensgraber und in den späteren Jahren Helga Simon insbesondere die Texterinnen, die mit spitzer Feder das aktuelle lokal-, landes- und bundespolitische Geschehen in die Darbietung einfließen ließen.

Mit Akkordeon, Kontrabass, Gitarre und Gesang gaben Heinz-Günther Haas, Horst Haas und Markus Bleul als „Dalwe-Trio“ von 1993 an für 11 Jahre scharf pointierten Bänkelgesang zum Besten.

Für Stimmung im Saal sorgen seit 2007 vor allem die Sektperlscher. Mit immer neuen Verkleidungen und passenden Requisiten bieten sie Fastnachtsschlager, Klassiker und aktuelle Hits und bringen unser Publikum zum Mitsingen und -tanzen.

Kinder- und Jugendgruppen

Bereits seit vielen Jahren ist die Unterstützung und Förderung der Jugend ein wichtiger Bestandteil im aktiven Vereinsleben des Eltviller Carneval Vereins. So stehen in jedem Jahr zahlreiche Kinder und Jugendliche bei den Prunksitzungen in Eltville auf der Bühne, sei es tänzerisch oder aber mit Gebabbel und Gesang.

Seit 1995 ist die Mini-Prinzengarde in ihren blauen Uniformen fest als Auftakt unserer Sitzungen gesetzt. Die Mädchen und Jungs im Alter zwischen 3 und 10 Jahren entzücken die Zuschauer jedes mal aufs Neue mit ihren Choreografien.

Für die der Mini-Prinzengarde entwachsenen jungen Tänzer bieten die Dance Kids die Möglichkeit, sich weiter auf der Bühne zu entfalten. Seit 2005 bereichern deren fetzige Tänze unsere Sitzungen.

Mit frechen Sprüchen und Gesang ist die Kindergruppe des ECV – gegründet 1978 – ein Dauerbrenner der Eltviller Sitzungen. Jedes Jahr in anderen Verkleidungen, wie Charlie Rivel, Indianer, deutscher Michel und aufgereiht wie Orgelpfeifen auf der Bühne stehend, das war das Markenzeichen dieser Truppe. Betreut wurden sie von Irmgard „Dippsche“ Schermer und Anneliese Swoboda, die Texte stammten aus der Feder von Paul Swoboda.

Die Kindergruppe des ECV 1981
Die Kindergruppe des ECV 1981

1989 übernimmt Romy Hulbert die Kindergruppe, die Texte in Rheingauer Mundart verfasst fortan Leo Gros. Aus der letzten Besetzung herauskristallisiert hat sich eine Gruppe Nachwuchsredner – Kinder sind sie längst nicht mehr. Die „Knallbonbons“ schreiben den Großteil Ihrer Texte mit der Unterstützung ihrer Leiterin Stefanie Hulbert selbst.

In der Bütt

Über die Jahre haben viele Redner in der Bütt des ECV gestanden und unsere Sitzungen geprägt. Stets haben sich Vorträge zu politischen Themen – ob regional oder von der großen politischen Bühne – und Kokolores in der Waage gehalten. In letzterer Kategorie sind sicherlich die ganz individuellen Stile von Winfried Gärtner, Werner Keil und Toni Rosenmerkel bis heute unvergessen. Die Reden von Siegfried Schön führen bereits seit 1978 regelmäßig zu Lachanfällen bei unserem Publikum. Er steht bis heute auf der Bühne und unterstützt aktiv junge Nachwuchsredner im Verein.

Werner Keil 1990
Werner Keil 1990

Weitere erfolgreiche Büttenredner in der Ära Rheingauhalle waren Walter Müller, Karl-Heinz Pesch, Peter Post und später seine Enkelin Steffi Post, Betty Ettingshausen, Ursel Blumrich, Paul Scharhag, Jochen Bleul, Petra Flöck und viele mehr.

Auch reich an Zwiegesprächen war das Programm des ECV schon immer, ob Rheingauer Markus Molitor und Rheinländer Raimund Thelen, Pizzafahrer Thomas Flöck und Matthias Bleul in den Rollen der Kundschaft oder heute noch auf der Bühne Michael Reuter und Roman Meth als Johann und Josepp, um nur einige wenige Beispiele zu nennen.

Schlussendlich tragen auch immer wieder Textbeiträge von Gruppen zur Abwechslung beim Eltviller Carneval Verein bei: Seien es der für dummes Gebabbel im Dreierpack zuständige Rheinadel, junge Imitationstalente beim literarischen Quartett oder die erfrischenden Sketche der Zuckerschnude.

Die Funktion des Protokollers übernahm beim ECV immer mal wieder eine andere Figur. Allein 11 Jahre war dies Siegfried Schunack im Kostüm des Struwwelpeter und ab 1986 Heinz-Günter Haas als Harlekin, der Symbolfigur des ECV. Mit seiner Laterne beleuchtete er die politischen Geschehnisse insbesondere auf Bundes- und Landesebene. Seine Nachfolge trat 2010 Markus Molitor in der neuen Rolle des Ausschellers an. Einen besonderen Stellenwert nehmen bereits seit 1979 die Vorträge von Leo Gros ein, wenn er jedes Jahr aus dem Blickwinkel einer anderen Berufsgruppe die aktuelle Politik betrachtet und kommentiert.

Keine Gnade gibt es für lokalpolitische Fehltritte, wenn die Tratschweiber Irmgard „Auguste“ Bleul und Irmgard „Berta“ Schermer sich auf ein ausgedehntes Schwätzchen treffen – dabei ist Helga Simon von Anfang an verantwortlich für die Texte dieses Zwiegesprächs und das immerhin bereits seit 1988.

Fassenacht uff de Gass

Einen eigenen Fastnachtszug hat es in Eltville in der jüngeren Vergangenheit leider nie gegeben – schließlich ist das Angebot in den umliegenden Gemeinden auch mehr als vielfältig.

Als 1998 in Erbach am Fastnachtssonntag kein Umzug stattfand, startete der ECV das Experiment „Spass uff de Gass“ und versuchte eine Straßenfastnachtsveranstaltung auf dem Eltviller Marktplatz zu etablieren. Die Resonanz war traurigerweise nicht sonderlich groß und spätestens als der Umzug in Erbach wieder auflebte verschwand diese Veranstaltung nach nur zwei Jahren wieder aus dem Fastnachtskalender.

Und somit präsentieren wir uns jedes Jahr gerne auf den Umzügen der befreundeten Vereine mit unserem Komiteewagen und einer bunten Clownstruppe und beschließen mit viel Spaß an der Freud’ alljährlich so unsere Kampagne.